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Aus : „Frankfurt" von Johann Jakob Häßlin, 1959

ESCHENHEIMER TOR

Ein günstiger Stern hat über dem Eschenheimer Turm gewaltet, dessen Antastung jetzt wohl als Vandalismus betrachtet werden würde. Sein Untergang war zur primatischen Zeit bereits beschlossen, als ihn noch in zwölfter Stunde die warme Fürsprache des französischen Gesandten, Grafen Hédouville, rettete. Dieser hatte sich zu dem Zwecke eine besondere Audienz bei dem Fürsten erbeten, und so verdankt Frankfurt die Erhaltung eines seiner ältesten Baudenkmale und schönsten Zierden gewissermaßen dem Auslande!
Der Turm wurde unter Ludwig dem Baiern im Jahre 1346 erbaut. Er zeichnete sich immer durch seine schönen Verhältnisse und beträchtliche Höhe vor den übrigen Festungstürmen aus, was ihm auch allein die Erhaltung sicherte. Der runde Turm ist von ansehnlichem Umfange und doch schlank, er hat Söller, Umgang mit Zinnen und fünf Spitzen. Im Torgewölbe will man Spuren alter Freskomalerei entdeckt haben. Bekannt ist die Sage von dem zum Tode verurteilten Schützen, welcher mit neun Kugeln einen Neuner in die auf der höchsten Spitze befindliche Wetterfahne geschossen und dadurch seine Begnadigung erlangt haben soll.
Ph. F. Gwinner, 1862

HESSENDENKMAL

Das Denkmal, welches Friedrich Wilhelm II. vor dem Friedberger Tore den dort am 2. Dezember 1792 gefallenen Hessen hat errichten lassen, ist mir noch werter und lieber geworden, als im Frühjahr 1809, da ich es zum ersten Male sah. Friedrich Wilhelm II. hatte in Künsten hohen und edlen Geschmack. Die Einfachheit des Ganzen, der viereckige Stein, der auf Basaltschichten ruht, die großen ehernen Sinnbilder, Helm, Schild, Widderkopf und so weiter, alles zusammen macht einen würdig-ernsten Eindruck, wie selten solche Denkmäler pflegen, die gar leicht in der Anlage verunglücken. Auch die Namen der Gemeinen stehen auf der ehernen Tafel. Solcher Steine sollte man mehr in Deutschland finden! Sie reden zu allem Volke, während Schrift und Erzählung nur in einem sich stets verengenden Kreise fortbestehen.
Karl August Varnhagen von Ense, 1843

BETHMANNS LANDHAUS

Meine Großmutter besaß ein Landhaus, das heute mein Vetter Moritz von Bethmann bewohnt, außerhalb der alten Wälle gelegen, angesichts des Friedberger Tores und des von König Friedrich Wilhelm II. errichteten Denkmals der hessischen Soldaten, die am 2. Dezember 1792, beim Sturm auf die Mauern der damals von Custine besetzten Stadt getötet worden waren. Das schöne geräumige Haus mit dem großen Garten hatte seine historische Weihe durch den Aufenthalt Napoleons nach dem Rückzug von Leipzig erhalten. Damals, unmittelbar nach der Schlacht von Hanau, verbrachte der Kaiser die Nacht des 31. Oktober 1813 mit seinem Generalstab unter dem Dach meiner Großmutter. Mein Onkel Bethmann und der Senator Guiollet (der gleiche, den Goethe in seinen Briefen als den Schöpfer der Glacisanlagen erwähnt) zogen an der Spitze einer Abteilung berittener Miliz Napoleon entgegen, durch ihre Gegenwart die feindliche Haltung der Menge, die gegen die besiegten Franzosen äußerst erbittert war, in Schach haltend.
Fünfunddreißig Jahre später, am 18. September 1848, brachte man in dies gleiche Haus den sterbenden Fürsten Felix Lichnowsky, der mit dem Grafen Auerswald von den Aufständischen umgebracht war.
Aber damals wußte ich noch nichts von diesen historischen Beziehungen des Heims meiner Mutter und konnte sie ja auch garnicht ahnen. Ich spielte im schattigen Laubwerk des Gartens und entzückte mich am Anblick der tropischen Gewächse und des Springbrunnens.
Eines Sonntags im September, als ich mich im Garten mit meinen Gespielinnen vergnügte, sahen wir in der langen Allee einen Greis auf uns zukommen, von unserer ganzen Familie ehrfurchtsvoll begleitet. Wir wandten keinen Blick von ihm, und meine Cousine Cathau rief: »Das ist der Herr von Goethe!« Fast im gleichen Augenblick hörte ich meinen Namen rufen. Ich wäre gern davongelauf en, aber dazu war es schon zu spät. So mußte ich dem imposanten Zug entgegengehen. Als ich näher kam, sagte mein Onkel Bethmann zu Herrn von Goethe: »Das ist meine kleine Nichte Flavigny.« Der Greis lächelte mir zu, nahm mich bei der Hand und sagte im Weitergehen einige Worte zu mir, die ich jedoch nicht verstehen konnte. Dann setzte er sich auf eine Bank und behielt mich kleines verwirrtes Mädchen neben sich. Während er sich mit meinen Verwandten unterhielt, erkühnte ich mich allmählich, die Augen zu ihm zu erheben. Als hätte er dies gespürt, schaute er mich sogleich an. Seine beiden ungeheuren flammenden Augäpfel, seine schöne leuchtende Stirne blendeten mich geradezu. Als er von meinen Verwandten Abschied genommen hatte, legte mir Goethe die Hand auf den Kopf und streichelte mein blondes Haar: ich wagte kaum zu atmen. Es fehlte nicht viel und ich wäre niedergekniet. Fühlte ich, daß diese magnetische Hand einen Segen für mich barg, eine schützende Verheißung? Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, daß ich mich in meinem langen Leben mehr als einmal unter diese segnende Hand gebeugt habe und wenn ich mich dann wieder erhob, so habe ich mich jedesmal stärker und besser gefühlt.
Marie d'Agoult, 1877

DANNECKERS ARIADNE

Unter den Wunderwerken der Kunst aus dem Besitze der Frankfurter Sammler nimmt nach hiesiger Meinung die Statue der Ariadne von Dannecker den ersten Platz ein. Dies Bildwerk gehört Herrn Bethmann, und ihm verdankt Herr Bethmann seine große Berühmtheit. Sein Name ist historisch geworden. Er steht in allen Reisehandbüchern, in allen Werken über Deutschland. Jeder Cicerone, jeder Kellner, sogar die Gassenjungen, die den Fremden ihre Dienste anbieten, führen ihn im Munde. Ganz Europa hat Herrn Bethmann schon besucht und kennt seinen Namen. Es gibt keinen volkstümlicheren im ganzen deutschen Bund. Man sollte wirklich meinen, es genüge, eine Statue zu kaufen und sie dem Publikum zu zeigen, um berühmt zu werden.
F. Guinot, 1847

Ich hatte so viel von dieser Statue gehört, daß ich recht begierig war sie zu sehen. Zu einem Teil mag sie diese Berühmtheit ihrem Standort und den vielen Reisenden verdanken, die Bethmanns Museum als eine Selbstverständlichkeit besuchen. Mir ist immer aufgefallen, daß sie von Italienreisenden auf dem Hinweg gepriesen, auf dem Heimweg aber kritisiert wurde. Auch ging mir die frivole Bemerkung eines englischen Reisenden durch den Sinn, Danneckers Ariadne sähe aus, als sei sie aus altem Stilton-Käse gemacht. Als ich die Stufen zu dem Pavillon emporstieg, wo sie aufgestellt ist, schwand der Enthusiasmus der Erwartung und ich sagte mir: »Das gibt sicher eine Enttäuschung«; aber ich war dann doch nicht enttäuscht.
Anna Jameson, 1834

Es kam die Rede auf die Ariadne, über die die Fürstin (Hohenzollern) mit gewohnter Lebhaftigkeit herfiel. - Nicht wahr, gestehen Sie's nur, Ihnen hat sie auch nicht gefallen? - (Goethe:) Da sieht man wieder, daß niemals Frauen über eine Frau urteilen können, das ist uns nun einmal vorbehalten, so wie ihnen, über uns den Stab zu brechen. - (Fürstin:) Nun, so urteilen Sie nur einmal, sie ist gewiß viel zu klein. - (Goethe:) Ei nein, sie ist ein recht hübsches Kind, ein artiges angenehmes Figürchen, und sie sitzt so anmutig auf dem Hunde da. - Da hab ich Sie gefaßt, rief die Fürstin dazwischen, das war eine strenge Kritik, sie sitzt ja auf einem Tiger. -(Goethe:) Was gar auf einer Katze; nun ich finde es nur bequern, daß sie still steht und nicht mit dem artigen Kinde davonläuft, denn das würde die Anschauung sehr stören.
Lili Parthey, 1823

Danneckers Ariadne verdient wegen der gesunden Sinnlichkeit, die in dem Werke atmet, alle Achtung. Besonders gefielen mir die Linien, welche die Rückenansicht darbietet. Dennoch ist mehr Modell als Begeisterung darin, und es erscheint uns ein derbes üppiges Weib, aber keine Dea Libera.
Karl Immermann, 1831

A propos! Hier ist eine Ariadne von Dannecker. Gott weiß, daß ich die Magerkeit nicht liebe und die Nacktheit nicht hasse, aber die Ariadne ist zu dick und zu nackt.
Wilhelm von Humboldt, 1816

Ariadne auf Naxos! Dannecker! - Denke Dir das schönste, höchste Ideal einer Frau, die stolz und leicht und mit dem Gefühl der eigenen Würde und Schönheit ein schäumendes Panthertier unter ihren Händen zähmt; das Panther scheint widerstehen zu wollen, aber es schmiegt sich sanft an ihren Händen auf und blickt stolz und mit gehobenem Haupte zum Himmel. Wie schön ist das Sinnbild, daß die Schönheit Alles, auch die wildeste Kraft zähmt und fesselt! Der Marmor ist milchblau und der schönste Karrarische - sie steht in einem mit verschiedenen Vorhängen verdunkelten Gemache; die Sonne schien gerade auf das blendende Rot und der Marmor glänzte wie der durchsichtigste Schneehauch, auf dem die himmlische Morgenröte sich abspiegelt.
Robert Schumann, 1829

Übrigens zieht die Frankfurter Industrie einen gewaltigen Vorteil aus dieser Statue. Sie wird nämlich in allen möglichen Formen reproduziert: als Pendüle, als Briefbeschwerer, als Stich, als Stoffdruck: immer und immer wieder stößt man auf Herrn Bethmanns Ariadne (der Name des Besitzers hat den des Bildhauers längst verdrängt). Mit seiner Ariadne hat Herr Bethmann sogar schon fast den Glanz des Herrn Rothschild verdunkelt - des Älteren, der hier in Frankfurt lebt. Und Herr Rothschild ist doch immerhin eine Macht: Herr Metternich konsultiert ihn, Könige und Großherzöge nehmen Anleihen bei ihm auf - aber er hat eben keine Statue, er ist nicht so glücklich, diese hübsche Ariadne auf dem Tiger zu besitzen, die man auf ihrem Sockel herumdrehen kann und die sich so nett auf Pendülen macht.
Eugène Guinot, 1847

VOR DEN TOREN

Ich machte einen Spaziergang durch die Gärten, nach dem Taunusgebirge zu, und freute mich an dieser herrlichen Natur und Vegetation. Vorgestern, in Weimar, waren die Bäume noch in Knospen; hier aber fand ich die neuen Triebe der Kastanien schon einen Fuß lang, die der Linden eine Viertel-Elle, das Laub der Birken war schon dunkelgrün, die Eichen waren alle ausgeschlagen. Das Gras sah ich einen Fuß hoch, so daß am Tor mir Mädchen begegneten, die schwere Graskörbe hereintrugen.
Ich ging durch die Gärten, um eine freie Ansicht des Taunusgebirges zu gewinnen; es war ein muntrer Wind, die Wolken zogen aus Südwest und warfen ihre Schatten auf das Gebirge, sowie sie nach Nordost vorbeizogen. Zwischen den Gärten sah ich einige Störche niedergehen und sich wieder aufheben, welches in dem Sonnenschein, zwischen den ziehenden weißen Wolken und dem blauen Himmel, ein schöner Anblick war und den Charakter der Gegend vollendete. Als ich zurückging, kamen mir vor dem Tore die schönsten Kühe entgegen, braun, weiß, gefleckt und von glänzender Haut.
J. P. Eckermann, 1830

AUSFLUG NACH BORNHEIM

Samstag hatten wir eine allerliebste avanture: wir Drey (Susette Gontard-Borkenstein, Marie Rätzer und Cobus Gontard) und die Sömmerings wollten nach Bornheim fahren. Da der Abend so schön war, sollte es über den Riderberg gehen, wir kannten den Weg nicht, überließen die Sorge dem Kutscher, dem er auch nicht bekannt war; unsre Unterredung handelte von der Dummheit! - ein edler Gegenstand! - indem Sömmering eine Menge darüber demonstrierte, mußte unser guter Johann etwas davon aufgefangen haben, besorgt die Theoretischen Beweise möchten nicht hinlänglich seyn, versuchte er uns pracktisch einzuprägen, was Dummheit sey; siehe auf einmal heißt es halt! der gute Freund hatte uns durch lauter Reben geführt, war jetzt an einer Eck, wo der Wagen weder wenden noch vorwärts konnte, denn hier war die Welt mit Breteren zugenagelt, wir stiegen aus und die Pferde mußten zur veränderung versuchen nach Krebs Manier zu spazieren, daß wir herzlich lachten über diese Art Kraftschlüsse, kannst du denken, endlich kamen wir denn doch hin; und Bethrnann, der Rendevous hatte, uns dort zu treffen, schrieb es gewiß einer weiblichen Laune zu, daß wir so lange nicht kamen, wie hätte er auf solche Abentheur rathen können? Um mit Jette (Henriette Gontard) zu sprechen, »haben mer sich af die griene Wiese higesotzen« und waren recht lustig.
Marie Rätzer, 1795

WANDERUNG ZUR GRÜNEBURG 1802

Der Arnim kam zu uns ins Stift und fragte, ob man bei dem herrlichen Abend nicht wolle hinaus nach der grünen Burg, so wanderten wir im Abendschein die stillen Feldwege, ich lief immer voraus, wendete um und sah die beiden vom untergehenden Tag mit einem Nimbus umfangen, schreiten, mehr schweben - optische Wirkung des Lichtes, das seinen Sonnenharnisch abgelegt hatte! Der Arnim sieht doch königlich aus! - die Günderode auch; der Arnim ist nicht in der Welt zum zweitenmal, die Günderode auch nicht. Die beiden gehen da nebeneinander an diesem schönen, heitern Abend! Aber dort kommt ein Gewitter! Die Winde kehren vor uns den Weg, wir müssen eilen! Wir fangen an zu traben, wir wollen eben in Galopp uns setzen, ergießt das schwarze Gewölk sich über uns, unten blitzt es, die Donner schlagen ihre Wirbel. Wir erreichen einen dichtlaubigen Kastanienbaum, die Regenflut läuft an seinen breiten hängenden Ästen hinab, dicht am Stamm ist's trocken. Der Arnim breitet seinen grünen Mantel um uns, die Günderode hat mit dem Kragen den Kopf geschützt, ich konnte es aber nicht drunter aushalten, ich mußte sehen, was am Himmel passiert. Da zogen die Regenschichten nacheinander vorüber, es war ein Gewühl. Ein Weilchen gefiel mir dies böse Abenteuer. Arnims wunderschöne Jugendnähe elektrisierte mich, ich opponierte dem Gewitter mit allerlei vom Zaun gebrochner Philosophie, die nicht Hand und Füße hatte und nasse Flügel, die ließ sie hängen. - Wir gingen weiter, jetzt, wo der Wind die Wolken ins Gebet nahm, rissen sie aus.
Bettina von Arnim, 1844

HANS THOMA

Auf einem Spaziergang sah ich an einem Maienabend über die Rothschildsche Wiese am Grüneburgweg zwei Herren mit einer Dame daherkommen. Die Dame in lichtem Kleid mit buntem Gürtel, einen breitrandigen, hellen Strohhut mit flatternden Bändern auf dem vollen schwarzen Haar, trug einen mächtigen Strauß Butterblumen, kaum zu umspannen. Es waren Maler Thoma mit Frau Cella und Freund Steinhausen. Ich hatte meine ganze Lust an dem Kleeblatt, das unter frohen Gesprächen heimwanderte: das Künstlerpaar nach der Lersnerstraße Nr. 20, der Einsame nach der Praunheimerstraße, wo er bei Architekt Ravenstein sein Atelier hatte. Durch Steinhausen lernte ich Thoma kennen, mit ihm den anregenden Ernst Sattler und später Albert Lang, Professor Trübner und Professor Henry Thode. Thomas Einladung, ihn zu besuchen, war mir eine freudige Überraschung, und so kam ich in sein trautes Heim in der Lersnerstraße.
Ich sah eine mir neue Kunst und wurde mächtig von ihr berührt. Die Hauptanziehung für mich war die auf der Staffelei stehende, noch nicht völlig fertige Aussicht aus seinem Atelierfenster: in feierlicher Sonntagsstimmung über die am weit offenstehenden, blumengeschmückten Fenster aufgeschlagene heilige Schrift sieht man hinaus in den baumreichen Park des Frankfurter Patriziers Herrn von Holzhausen, die »Oede«, deren im Weiher gelegenes schiefergedecktes, hohes Wohnhaus aus dem Grün hervorlugt. Dies alles sah man auch in Wirklichkeit, nur belebt durch die auf dem weiten, sonnigen Wiesenplan sich tummelnde große Schar prächtiger radschlagender Pfauen.
Kunstfreunde lächelten über ihn oder zuckten die Achseln; eine Ausnahme machten nur Burnitz, Eissenhardt, Linnemann, Scholderer und Steinhausen. Daß er die Arbeiten anderer freudig anerkannte - ich denke an die stattliche Reihe Frankfurter Maler: Burger, Peter Becker, Dielmann, Maurer, Vietor Müller, Schreyer -, daß er energisch gegen Verunglimpfung seiner Kollegen auftrat, wie etwa bei Scholderer, dankte ihm niemand; man wollte ihn nicht.
Trotzdem hatte er den Mut, für Ravenstein am »Kaiser Karl«, dem Eckhaus der großen Eschenheimerstraße und der Zeil, die sieben Todsünden in Kolossalköpfen darzustellen, und verdarb es dadurch auch noch mit den Bildhauern. Heute sind die Köpfe vergessen; damals wurden sie aufgesucht und meist mit Ärger angesehen. Ich stand mit Thoma vor dem Rohbau, wie sich die Leute die Front betrachteten und auflachten, nicht etwa aus Freude über den Eindruck, sondern völlig ablehnend. Siegesgewiß sahen sie sich nach uns um und suchten uns ihre Ansicht klar zu machen. Den Meister amüsierte ihr Gebaren höchlich; er stand über der Kritik: »I ha's gemacht«, sagte er.
Auch im Café Bauer, wo Thoma einen Bacchus- und Gambrinuszug gemalt, stieß er auf lieblose Kritik; ja, man überredete den Inhaber, die Bilder zu entfernen. Sie wurden verdeckt und waren vergessen, bis der Künstler zu vollem Ruf kam. Da erinnerte man sich ihrer, und so stehen sie heute im alten Glanze da.
Über zwanzig Jahre durften wir Thoma den Unseren nennen. Als er schied, hatte sich seine überragende Persönlichkeit durchgesetzt; daß immer noch Gegner sich sträubten, wollte nicht mehr viel sagen: sie mußten verstummen, wie er die Früchte seines Schaffens vorwies, den reichen Kranz: dreimal füllte er im Oktober 1899 bei Schneider den großen Saal.
J. F. Hoff, 1914

ADICKES GEHT SPAZIEREN

Soeben komme ich von einem herrlich erfrischenden Spaziergang über das Rothschildsche Feld zurück, ein halbes Lehmfeld an den Schuhen und die Backen heiß vom Schneesturm, in den ich hineingeriet. Der Taunus verschwand bald in dunklem Nebelgewoge, bald sah er wieder mit weißen Schneeflecken, als ob er ganz nahe wäre, in die Landschaft hinein. Bauplangedanken laufen dabei in der Seele herum - schade nur, daß die Ausführung aller solcher Pläne Jahre dauert. Jedoch macht im allgemeinen der Bebauungsplan gute Fortschritte und erscheint nach und nach immer mehr als etwas Natürliches und Unabwendbares. In Folge der Widerstände ist jetzt auch meine Liebe zu ihm um so stärker geworden.
Franz Adickes, 1892

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