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Aus : „Der Frankfurter Bürger" von der Arbeitsgemeinschaft Frankfurter Bürger- und Bezirksvereine e.V., 2001/2002

Das Nordend - ein Ort im Herzen unserer Stadt - (Teil I) / 2001

Seine Grenzen

Das Frankfurter Nordend wird von Westend, Bornheim, Ostend und der Innenstadt umschlossen. Anders gesagt: Die Eschersheimer Landstraße trennt das Nordend vom Westend, der Alleenring im Norden bildet die Grenze zu Bornheim, der Sandweg ist die Grenze zum Ostend und der Anlagenring im Süden grenzt das Nordend von der Innenstadt ab. (etwas unpräzise /am)
Im Westen steht das klassische Viertel des Bürgertums, eine ehemalige Gartenstadt, die sich vor den einstigen Toren Frankfurts zum vornehmsten Wohnviertel für die Wirtschaftsbosse und Adligen entwickelte, bis diese es seit einigen Jahrzehnten vorzogen, in den Taunus abzuwandem, und es zu einer Verödung des Viertels kam, wo man heute nur noch wohnt und arbeitet.
Im Norden liegt "das lustige Dorf" Bornheim. Es zählt mit seinen 27.000 Menschen mit zum bevölkerungsreichsten Gebiet innerhalb der Frankfurter Stadtgrenzen und ist mit seiner bunten Mischung aus Intellektuellen, Ausländern und alten Bornheimern wohl zugleich der eigenständigste Stadtteil Frankfurts.
Im Osten breitet sich das von Industrie geprägte Stadtviertel aus, dessen heutiges Image erst nach der Jahrhundertwende mit dem Bau des Osthafens (1908-1912) entstand.
An den Süden des Nordends stößt die City mit ihren rund 5.000 Einwohnern, zu denen sich tagsüber aus dem Frankfurter "Speckgürtel" einige 100.000 arbeitende und konsumierende Menschen gesellen, die sich abends wieder zu ihren Schlafstätten in Taunus, Wetterau und Vogelsberg zurückziehen und Frankfurts City veröden lassen.
Dicht umdrängt von diesen Stadtteilen scheint es das Nordend schwer zu haben sich zu behaupten und doch hat es ganz typische Merkmale, die es in Geschichte und Gegenwart charakterisieren, ja auszeichnen.

Urbanes Leben

Heute zählt das Nordend auf seinen rund 480 Hektar Fläche mit fast 59.000 Einwohnern nicht nur zu den dichtest besiedelten, sondern zugleich zu den beliebtesten Stadtvierteln. Hier in den Altbauten wohnen viele Intellektuelle, Künstler, Studenten, junge Erwerbstätige, aber auch viele alte Menschen. Hier gibt es die meisten Kneipen, kleinen Geschäfte und Büros. Hier im dichtbesiedeltsten Teil Frankfurts mit seiner ausschweifenden Wohnbebauung finden sich die begehrten Altbauten in City-nähe in nahezu unüberschaubarer Zahl. Hier lohnt ein Bummel am Nachmittag zwischen kleinen Boutiquen, stilvollen Altbauvillen, aufwendig restaurierten Fassaden und Jugendstilambiente. Wer die abendliche Kneipenszene nicht kennt, hat Frankfurt nicht erlebt. Kurzum: Hier läßt sich urbanes Leben vom Feinsten verwirklichen.
Im Nordend mit seiner halbwegs gewachsenen und intakten Infrastruktur leben überwiegend junge Leute. Etwa 70 Prozent sind im erwerbsfähigen Alter, davon wiederum zirka 70 Prozent Angestellte, Beamte und Selbständige. Diese vielen gebildeten, aufgeklärten und zukunftsbewußten Menschen erklären auch die durchschlagenden Wahlerfolge der Grünen, die unter den rund 59.000 Einwohnern einen Stimmenanteil von bis zu 20 Prozent erzielen, erklären auch, warum die Grünen-Bewegung hier zuhause ist, das Nordend schon immer eine Alternativen-Hochburg war und hier sich auch die Ökobank befindet.
Das war nicht immer so. Erst vor etwa einhundert Jahren entwickelte sich das Nordend von einem Acker-, Wiesen- und Waldland zu einem der dichtbesiedeltsten Stadtteile. Selbst die Nordendbewohner können sich heute kaum vorstellen, wie es früher einmal aussah. Streifen wir also kurz durch die Geschichte!

Zur Geschichte

Ein Waldgürtel bedeckte einst den östlichen Teil des heutigen Nordends. Namen wie Eichwald- und Buchwaldstraße erinnern daran. Ein großer Teil des Waldes wurde im 16. Jahrhundert zur Bornheimer Heide gerodet. Nördlich und westlich erstreckten sich fruchtbare Lößflächen, die schon in vorgeschichtlicher Zeit von Norden her die Keramikbauer besiedelten. 83 bis 260 n. Chr. lassen sich mehrere römische Gutshöfe (villae rusticae) nachweisen, die als kleinere oder mittlere Betriebe die fruchtbaren Flächen landwirtschaftlich nutzten. Da hier römische Funde nach der Mitte des 3. Jahrhunderts nahezu völlig aufhören, dürfte die römische Vergangenheit mit dem endgültigen Fall des rechtsrheinischen Limes bald nach 260 und mit dem Einfall der Alemannen hier enden. Ihnen folgten die Karolinger, später die Staufer.
Ab 793 entstanden königliche Meierhöfe, die ab dem 14. Jahrhundert in befestigte Gutshöfe umgewandelt wurden. Hiervon bekannt sind vor allem der Neuhof, die Stalburg, die Bornburg (Günthersburg) und die Holzhausenoed. Besitzer all dieser Höfe waren Patrizierfamilien. Viele Straßennamen im Nordend erinnern heute an sie. Die Wolfsgangstraße erinnert an eine Wolfsplage, die 1415 das Nordend heimsuchte, so daß sich die Feldschützen nicht in die Weinberge trauten.
Die "Oede", 1398 erstmals erwähnt, kam 1474/1503 durch Heirat an die Familie Holzhausen, eine der ältesten und angesehensten Patrizierfamilien, die über viele Jahrhunderte das politische Geschehen der freien Reichsstadt bestimmte. Der Humanist und Anhänger der Reformation Hamman von Holzhausen und später sein Sohn luden hier zu erbaulichem Gespräch und kultivierter Geselligkeit. Die Oede wurde bei der Belagerung der abtrünnigen Reichsstadt 1552 zerstört und im Dreißigjährigen Krieg völlig verwüstet, dann aber wieder aufgebaut. Um 1700 muß man sich die eckige Wasserburg mit ihrem mächtigen Turm inmitten einer von Baumreihen durchzogenen Ackerlandschaft vorstellen.
Als im 18. Jahrhundert auch in Frankfurt die ländlichen Sommersitze immer beliebter wurden, ließ Johann Hieronymus von Holzhausen 1727 bis 1729 den verwahrlosten Renaissancebau in ein repräsentatives Barockanwesen umbauen.
Knapp hundert Jahre später war man sich schon wieder der strengen, geometrischen Formen des Barock überdrüssig und huldigte dem rousseauschen Lebensgefühl mit seinen natürlichen Landschaften. Reste hiervon sind heute noch beim ehemaligen Eingangsportal am Oeder Weg erhalten.
Das Holzhausenschlößchen - im 19. Jahrhundert ständiger Wohnsitz der Holzhausens und heute Schmuckstück des Nordends – vermachte der letzte Ahn des Familienzweigs Adolf Freiherr von Holzhausen 1910 der Stadt Frankfurt unter der Bedingung, diesen jahrhundertealten Stammsitz der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nach dem Zweiten Weltkrieg beherbergte es zunächst das Museum für Vor-und Frühgeschichte, heutiger Hausherr ist die Bürgerstiftung.
Im 18. Jahrhundert waren vor den Stadttoren aufgrund zunehmender Beliebtheit bereits zahlreiche Garten- und Landhäuser als Sommersitze entstanden. Nach dem Schleifen der Befestigungsanlagen (1806-1812) nahm auch hier die Bebauung zu, zunächst an den Ausfallstraßen, von denen schon damals die nach Friedberg wichtig war. Aus dieser Bauphase sind heute noch einige Häuser erhalten. Allmählich wurde auch das Umfeld verbessert-. 1828 wurde der "Neue Friedhof", heute der Hauptfriedhof, angelegt. An dem Friedhofs- oder Kirchhofsweg, der heutigen Eckenheimer Landstraße, lagen Gärtnereien, die Eisengießerei, Herd- und Ofenfabrik Mack, Fuhrhöfe, eine Seifen- und Parfümeriefabrik und der Neuhof des Barons Rothschild in Wien. Nahe war auch der Adlerflychthof, der Sommersitz der Gontards um 1800. An der Friedberger Landstraße lag eine Margarinefabrik, am Nibelungenplatz gab es eine Milchkuranstalt. Schon seit 1607 wurde aus dem Friedberger Feld Quellwasser in die städtischen Brunnen geleitet, 1828 bis 1834 wurden die Anlagen erneuert und Wasserleitungen gelegt Heute fließt dort Trinkwasser aus dem Vogelsberg und Spessart.

Die Entwicklung

Frankfurts Entwicklung zu einer Großstadt, die vor allem von Handel und Geldwirtschaft geprägt war, vollzog sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit Urgewalt griff die Industrialisierung auf die Städte, auch auf Frankfurt, über. Hatte Frankfurt 1871 noch 91.000 Einwohner, waren es 1890 schon 180.000. Zur Jahrhundertwende waren es dann 289.000 und 1910 über 410.000. Hunderttausende zogen in die Stadt und erhofften sich hier von der Industrie ein besseres Einkommen und größere soziale Sicherheit. Für diesen unerwarteten Ansturm von Industriearbeitern mußte in kürzester Zeit Wohnraum geschaffen werden. Die marodesten Gebäude und unzumutbare Bruchbuden fanden dankbare Mieter. Die rings um die Stadt liegenden landwirtschaftlich und gärtnerisch genutzten Flächen wurden von sehr gewinnorientierten Privatfirmen in Bauland umgewandelt und vielgeschossig bebaut.
Oberbürgermeister Franz Adickes, seit 1891 im Amt, half Frankfurt, das bereits auf dem Weg zu einer modernen Stadt war, diese Entwicklung zu regeln, indem er die Gemeinde zunächst alle unbebauten Grundstücke im Weichbild der Stadt aufkaufen und bebauen ließ und so den Spekulanten entzog. Doch damit allein konnte der Mangel an Baugelände und Wohnraum nicht behoben werden. Nach langwierigen Kämpfen gelang es ihm mit seiner "Lex Adickes" (1902) die Umlegung von Grundstücken zu vereinfachen und zu beschleunigen und Frankfurt aus der Wohnungsnot zu führen.
Zahlreiche Vorstädte, als erste Bornheim (1877) und Bockenheim (1895), waren bereits eingemeindet. Die Einwohnerzahl Frankfurts hatte sich innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfacht. In den Stadtteilen Bahnhofsviertel, Westend, Nordend und Ostend, die die Innenstadt halbkreisförmig umschließen, war mitten im 19. Jahrhundert die systematische Erschließung mit einem Straßennetz begonnen worden, das vom Stadtkern aus nach allen Richtungen sternförmig ausstrahlte. Franz Adickes setzte 1891 bis 1912 diese planmäßige Ausdehnung und Verdichtung Frankfurts fort. Unter ihm wurde der Alleenring als zweite Ringstraße angelegt, die seitdem die beiden eingemeindeten Vororte Bockenheim und Bornheim miteinander verbindet und heute die nördliche Abgrenzung des Nordends bildet.
Von der Mitte des 19. Jahrhunderts an, vor allem seit der Eingemeindung Bornheims 1877, wurde das Nordend Schritt für Schritt bebaut und nach Norden hin erschlossen. Zwei Jahrzehnte lang bildete die Nordendstraße den nördlichen Stadtrand. Das Gebiet der Holzhausenoed wurde seit 1910 bebaut, der 1790 angelegte Park mit dem Schlößchen allen Bürgern geöffnet. Entsprechend zur Bevölkerung der Gesamtstadt vervielfachte sich die Bevölkerungzahl auch hier: Hatte das Nordend 1880 nur 23.000 Einwohner, waren es 1890 bereits 38.000 und 1900 58.000., Im Jahre 1970 zählte man rund 71.000 Einwohner. Seitdem nahmen die Zahlen ab: 1980 waren es noch etwa 60.400, 1985 57.000 und 1990 58.500. Im Jahr 2000 zählt man nur noch 58.000 Bewohner im Nordend. Das bedeutet eine Wohndichte von etwa 160 Einwohnern pro Hektar.

Das Nordend heute

Unter Adickes erhielt das Nordend nach den Planungen von 1893 im wesentlichen seine endgültige Ausformung. Es ist heute ein citynahes, dicht bebautes Wohn- und Mischgebiet. Es ist im wesentlichen ein Teil des in den Gründerjahren entstandenen Wohnringes um die Innenstadt herum und gliedert sich in die Ortsteile Nordend-West und Nordend-Ost. Die Lage unmittelbar neben der City begünstigt dieses Gebiet mit seiner Nähe zu den Arbeitsplätzen und zentralen Einrichtungen der Infrastruktur in besonderem Maße. So kann die Innenstadt mit öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gut erreicht werden. Güter des täglichen Bedarfs lassen sich leicht beschaffen. Das Angebot an Ärzten ist überaus gut.
Das Nordend umfaßt Teile sehr unterschiedlicher Besiedlungsdichte und Bauformen: stattliche Villen für das Großbürgertum im nordwestlich gelegenen Holzhausenviertel, Einfamilienhäuser im Norden, bürgerliche Mehrfamilienhäuser im Bereich Oeder Weg und mehrstöckige Mietskasemen im Südosten und Osten. Hinzu kommt eine vorwiegend vier- bis siebenstöckige Blockrandbebauung. Die Wohnungs- und Umgebungsqualität nimmt also von Nordwesten nach Südosten ab, die Besiedlungsdichte aber zu. Abgesehen vom Holzhausenviertel, herrscht die geschlossene oder fast geschlossene Blockbebauung mit drei bis fünf Geschossen vor. Häufig sind die Innenhöfe mit Kleingewerbe, Handwerksbetrieben, Hinterhäusern, Lagerräumen und Garagen bebaut und beeinträchtigen das ungestörte Wohnen. Dieses ist durch den Straßenverkehr, vor allem an den Einfallstraßen zur City, zusätzlich von außen beeinträchtigt.
Die Villengebiete liegen an repräsentativen Parks oder öffentlichen und privaten Grünflächen. Die Baugebiete höherer Dichte und vor allem die Bereiche mit Mietskasernen weiter südöstlich lassen öffentliche Grünflächen vermissen. Mit zunehmender Besiedlungsdichte von Nordwesten nach Südosten nehmen also die Grünflächen und damit die Umgebungsqualität ab: Im Nordwesten also liegen die größten öffentlichen Grünflächen, so der Holzhausenpark. Es folgen weiter östlich der Günthersburgpark und am Südrand der Bethmannpark.
Viele Schulen mußten gebaut werden, hoch war daher der Anteil der Lehrer. Manche Teile des Nordends hießen daher "Tintenviertel". Von den vielen Schulen wurden zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Musterschule und das Philanthropin der Israelitischen Gemeinde gebaut. Letzteres beherbergt heute ein Bürgerhaus und das Hochsche Konservatorium. Mehrere Krankenhäuser und Kirchen kamen hinzu. Bürobauten, Bundesämter, Hessischer Rundfunk und Deutsche Bibliothek runden die Baumaßnahmen der letzten Jahrzehnte ab und geben dem Stadtteil zusätzliche Bedeutung.

DAS NORDEND - ein Ort im Herzen unserer Stadt - (Teil II)

Leben und Wohnen im Nordend

Das urbane Wohnen wurde im 19. Jahrhundert besonders kultiviert, indem es jedem ermöglichte, sich nach vorn zur Straße zu öffnen und der ganzen Welt zu begegnen und sich zugleich nach hinten in den privaten, intimen Bereich zurückzuziehen, wo man ungestört sein konnte. Mit der weiterhin intensiven Bebauung der Innenhöfe wird der Rückzug ins Private zunehmend erschwert und die Qualität des Wohnens gefährdet. Das Nordend verdient sich den Rekord, das dichtest bebaute Viertel Europas zu sein. Insgesamt wirkt das Nordend - mit seinen vielfältigen gastronomischen Angeboten, den zahlreichen Einzelhandelsgeschäften und seiner durchmischten Bewohnerstruktur - auffallend lebhaft und trotz geringer Grünflächen durchaus attraktiv als Wohnumfeld. Jung wie alt können gut auch außerfamiliäre Kontakte pflegen und ihren Freizeitbedürfnissen nachgehen. Die zentrale Lage zur Innenstadt bringt aber auch zahlreiche Probleme mit sich.

Verkehrsnot

So leidet das Nordend chronisch am Verkehrslärm, besonders an den Durchgangsstraßen, an Autoabgasen und Parkplatznot. Das im ehemaligen Volksbildungsheim entstandene Kinocenter "Metropolis" mit seinen 3.500 Sitzplätzen verschärft wegen des Parkplatzsuchverkehrs die Situation am Eschenheimer Turm und im Oeder Weg zusätzlich. Daß die stark befahrenen Straßen für Kinder eine ernsthafte Gefahr und für weniger bewegliche Alte ein Mobilitätshindernis sind, bedarf wohl keiner Erwähnung.

Drogenhandel und Kriminalität

Drogenhandel und Kriminalität verunsichern die Menschen im Nordend. Vor allem seit der Räumung der Taunusanlage 1992 hat sich der Drogenhandel auf andere Teile der Stadt verlagert. So haben sich neben Hauptbahnhof, Hauptwache und Konstablerwache auch an den U-Bahnhöfen der Berger Straße neue Schwerpunkte gebildet. Nach Schätzungen der Polizei versorgen sich täglich 10.000 Menschen in Frankfurt mit Drogen, davon entsprechend viele im Nordend. Damit einher geht die Beschaffungs- und Kleinkriminalität. Die Bürger hier haben zumindest subjektiv das Gefühl, Kriminalität und Gewaltbereitschaft nähmen zu. Polizei und Sozialarbeit versuchen jetzt gemeinsam das Problem anzugehen in der Hoffnung, die Mischung aus Repression und Hilfe sei der richtige Weg für die Zukunft.

Wohnungssituation

Die kleinen Haushalte sind mit Bad und Heizung zwar gut ausgestattet, lassen sich aber für die speziellen Belange alter Menschen nicht leicht anpassen, da diese Wohnungen meist in den oberen Etagen liegen, der nachträgliche Einbau eines Lifts sehr teuer kommt und die Eigentümer diese Investitionen scheuen - gerade bei älteren Menschen, die wegen der langen Wohndauer ohnehin eine wesentlich geringere Miete zahlen müssen.
Schon an diesem Beispiel sehen wir, daß bei der Miethöhe das Nordend in sich gespalten ist. So liegen die Mieten im Villenviertel um einiges höher als im Durchschnitt der Stadt. Jeder Umzug ist mit dem Risiko einer Mieterhöhung verbunden, so daß weniger betuchte Studenten wie weniger mobile Alte gleichermaßen einen Wohnungswechsel scheuen. Die Wohnqualität der weniger privilegierten Ausländer ist auch hier schlechter einzustufen als die der deutschen Bewohner. Sie ballen sich in Altbauquartieren mit schlechter Bausubstanz. Fast alle Ausländer wohnen zur Miete, weil ihr Einkommen gering ist oder sie an Rückkehr denken. Für kleinere Wohnungen zahlen diese oft kinderreichen Familien im Durchschnitt eine höhere Miete.

Bevölkerungsstruktur

Das Nordend hat eine relativ junge Bevölkerung. Typisch für Kernstädte ist auch hier, daß vor allem die jüngeren Alten anteilsmäßig schwächer vertreten sind und daß überdurchschnittlich viele Zwanzig- bis Vierzigjährige hier leben. In den innenstadtnahen Gebieten Frankfurts ist der Ausländeranteil besonders hoch. So haben über 27 Prozent der Nordendbevölkerung keine deutsche Staatsangehörigkeit. Überdurchschnittlich stark betroffen ist das Nordend-Ost. Charakteristisch für diese Wohngebiete ist auch der hohe Anteil an Einpersonenhaushalten. Ober die Hälfte aller Haushalte zählen hierzu. Das ist mehr als im gesamten Frankfurt oder der gesamten Bundesrepublik. Anteilig sind hier im Nordend auch die älteren Menschen öfter alleinstehend. Besonders attraktiv aber sind die innerstädtischen Wohngebiete für Studenten und alleinstehende Berufstätige. Auch die soziale Schichtung ist uneinheitlich: Im Nordend-West ist der Anteil an höheren Sozialschichten überdurchschnittlich hoch, im Nordend-Ost dagegen entspricht er gerade dem Durchschnitt aller Frankfurter.

Wandlungsprozesse im Nordend

Im Philanthropin an der Hebelstraße soll 2004 wieder eine jüdische Schule entstehen. Die Stadt Frankfurt, das Land Hessen und die Jüdische Gemeinde haben sich über den Wiedereinzug einer jüdischen Schule in das Philanthropin geeinigt. Es war 1804 als jüdische Schule gegründet worden und hatte die Juden aus dem geistigen Getto geführt und in die Frankfurter Gesellschaft integriert. 1942 mußte es auf Druck der Nationalsozialisten geschlossen werden. Vor etwa zwanzig Jahren verkaufte die Jüdische Gemeinde das Gebäude an die Stadt, um mit dem Erlös das Gemeindezentrum im Westend zu finanzieren. Anläßlich des 200. Jahrestages soll nun u.a. mit öffentlichen Darlehen das Gebäude von der stadteigenen Frankfurter Aufbau AG zurückgekauft werden und ab 2004 wieder als jüdische Schule dienen. Die Jüdische Gemeinde wolle dadurch das urbane Leben aktiv mitgestalten und bereichern. Das dort zur Zeit untergebrachte Hoch'sche Konservatorium muß weichen und sucht Ersatz in zentraler Lage. Es strebt die Einbindung in eine "Kulturmeile Braubachstraße" an.
Die letzten Volkszählungen zeigen, daß Arbeiter wie auch Personen mit Hochschulabschluß im Nordend-Ost um 1970 noch stark vertreten sind, danach aber der Arbeiteranteil gesunken ist. Das läßt auf weitere Veränderungen der Bevölkerungszusammensetzung schließen. Mit dem Zuzug der Mittel- und oberen Mittelschicht in die ehemaligen Arbeiterwohnungen geht auch eine deutliche Veränderung der Lebensstile und Wertvorstellungen einher. Zugleich wird der Wohnungsbestand qualitativ aufgewertet.
Häufig werden Mietobjekte in Eigentumswohnungen umgewandelt. Für das Nordend gilt, daß zahlreiche junge und besser gestellte Haushalte, vor allem junge Familien, in das Frankfurter Umland abwanderten und die sozial Schwächeren, die sich nur die preiswerten Mieten in den citynahen Altbauten leisten konnten, zurückblieben, ebenfalls diejenigen, die aufgrund sozialer Sperren woanders keine Wohnung bekamen. So besetzten lange Zeit die Armen, die Alten, die Auszubildenden und die Ausländer die frei werdenden Arbeiterwohnungen.
Mit der verstärkten Wohnraumnachfrage vonseiten der geburtenstarken Jahrgänge ergab sich für die zentrumsnahen Altbaugebiete auch des Nordends ein Wandel. Heute gibt es im wesentlichen drei Gruppen - einmal die bereits beschriebenen Alteingesessenen; dann die Personen mit hoher Bildung, noch ohne feste berufliche Stellung und mit zunächst geringem Einkommen, aber in aufwertungsverdächtige Gebiete einziehend-, schließlich Personen mit hohem Einkommen und hoher beruflicher Position, die in der nahen City arbeiten und eher karriereorientiert denken. So sorgen in diesen citynahen Wohngebieten vor allem jüngere, gut verdienende Personen dafür, daß die Nordendwohnungen alle Mindeststandards an Wohnqualität erfüllen, vor allem im westlichen Teil mit der noch attraktiveren Wohnsituation, daß die Mieten, vor allem im Westen, auf einem hohen Niveau liegen, daß der Personenanteil mit hoher Bildung, aber zunächst noch niedrigem Einkommen im gesamten Nordend hoch ist und daß es überdurchschnittlich viele kleine Haushalte gibt. Diese neu hinzuziehenden Bevölkerungsgruppen - die höheren Berufsschichten, die oberen Einkommensklassen und die jungen Ein- oder Zweipersonenhaushalte - prägen den Wertewandel besonders deutlich. Die Erleichterung der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen seit 1992 ließ jüngere, einkommensstarke Gruppen mit anderen Lebensstilen hier Eigentum bilden.

Strukturplanung im Nordend

Nach 1945 ging es der Stadt Frankfurt vorrangig um wirtschaftliches Wachstum. Dies war gleichbedeutend mit der Schaffung eines weit gefächerten Arbeitsplatzangebots und damit verbunden mit einem möglichst hohen Steueraufkommen für die notwendigen Investitionen der stark zerstörten Stadt. Die Einbindung der wirtschaftlichen Maßnahmen in ein Gesamtkonzept wurde dabei vernachlässigt. So hat die Kommune für die citynahen Wohngebiete wie das Nordend kein zusammenhängendes Konzept der Stadtentwicklung erarbeitet. Einzelfallentscheidungen wie etwa bei der Entwicklung von Bürogebieten wurden zum Normalfall. Trotz der starken Verdichtung im Bereich um die Innenstadt gab es kaum Bebauungspläne. Langfristige und übergreifende Ziele der Stadtentwicklung waren nicht vorhanden und damit nicht kritisierbar.
Wirtschaftswachstum für die Stadt hatte unter diesen Voraussetzungen zur Folge, daß zunächst und am stärksten im Westend, dann aber auch im angrenzenden Westteil des Nordends Wohnhäuser durch Bürohochhäuser ersetzt wurden. Vorhandene Wohnsubstanz wurde vernachlässigt, da die Eigentümer auf eine Umwidmung in höher rentierliche Büros oder Praxen hofften. Ständig wurde erschwinglicher Wohnraum vernichtet und Bevölkerung vertrieben. Das erklärt unter anderem den dramatischen Rückgang der Nordendbewohner von rund 71.000 im Jahre 1970 auf jetzt etwa 58.000. Die Umnutzung von Wohnungen in Gewerberäume brachte keine Nivellierung, sondern eher eine Verstärkung in den Qualitätsunterschieden der Teilbereiche: Im Nordwesten, z.B. im Bereich des Holzhausenschlößchens, wurden die guten Wohngebiete am stärksten für Büros und Praxen genutzt, abnehmend zum Mittelteil, kaum vorhanden im Südosten. Hier dagegen herrschen Handwerk und Dienstleistungen vor, deutlich erkennbar an der hier starken, oft vollständigen gewerblichen Nutzung der Hinterhöfe.
Daher konzentrieren sich die Neubauten, fast alles Büroraum, auf den südlichen Oeder Weg und die Eschersheimer Landstraße. Über fünfzig Prozent des Altbauwohnraums sind im Holzhausenviertel inzwischen Bürofläche geworden. Dementsprechend konzentrieren sich die Arbeitsplätze im westlichen Nordend mit etwa 20.000, im östlichen mit ungefähr 8.000. Daß seit Jahrzehnten Strukturpläne für das Nordend diskutiert werden, ist naheliegend. Forderungen, hier Wohngebiete mit großem Bestand an billigen Wohnungen auf Dauer zu sichern oder wenigstens Wohnungen unterschiedlicher Mietpreise bereitzustellen oder verkehrsberuhigte, stabile Wohngebiete zu schaffen oder vorhandene Wohnsubstanz auch durch Renovierung oder schrittweise Erneuerung von Wohngebäuden in ihrer Wohnfunktion zu erhalten, erscheinen hier sozialpolitisch kaum durchsetzbar.

Der Bürgerverein Nordend

Bereits im Jahre 1882 hatten sich die Anwohner des Nordends in einem Bürgerverein zusammengeschlossen. Aufgabe und Zweck eines solchen Vereins war es und ist es immer noch, den Gemeinsinn unter den Bewohnern durch die Besprechung spezieller Fragen zu wecken sowie die Belange der Einwohner des jeweiligen Stadtbezirks bei den Behörden der Stadt wahrzunehmen. Der Bürgerverein verstand und versteht sich als politisch, weltanschaulich und konfessionell neutral.
Zur Zeit des Nationalsozialismus aber mußte sich der Verein unter politischem Druck auflösen und konnte erst nach Kriegsende seine Arbeit wieder aufnehmen. Die enge Bindung des nahen Stadtkerns mit dem dicht besiedelten Nordend und viele gemeinsame Interessen führten dazu, daß sich die Ziele des Bürgervereins erweiterten und eine Umbenennung in "Bürgerverein Nordend-Innenstadt" erfolgte.
Der Bürgerverein beteiligte sich bei der Organisation des ersten Oederweg-Straßenfestes zugunsten der Kinderkrebsstation und an weiteren Veranstaltungen. Er hält engen Kontakt zu den Bewohnern und bringt seine Anliegen den Vertretern im Ortsbeirat 3 vor. Daß diese Anliegen zahlreich und vielfältig sind, wird aus den oben angedeuteten Problemen des Nordends wohl unmittelbar einsichtig.

Autor: Alfred Hansmann
Unser besonderer Dank gilt Herrn Bibtiotheksoberrat Reiner Scholz und Frau Studienrätin Cornelia Walther für ihre großzügige Bereitstellung von Schrifttum zum Nordend.

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