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Aus: Frankfurter Rundschau vom 3.09.2007

100 Jahre Bürgerhospital - Von der vorbildlichen medizinischen Stiftereinrichtung im Sinne Senckenbergs wandelte sich das 1907 neu gegründete Krankenhaus an der Nibelungenallee zum heute modernen Zentrum der Gesundheit

Tempel der Wissenschaft

Von Sandra Busch

Wie das Krankenhaus entstand

Er war der letzte, der umzog. Alle Patienten des Bürgerhospitals waren bereits verlegt, hatten die Eisenbetten im neuen Domizil an der Nibelungenallee bezogen. Nur einer musste noch drei Wochen im alten Gebäude am Eschenheimer Tor ausharren: der Stifter. Die Gebeine Johann Christian Senckenbergs wurden schließlich am 15. August 1907 von der Innenstadt ins Nordend verlegt - rechtzeitig zur offiziellen Eröffnungsfeier des Neubaus drei Tage später.
Auch heute noch liegt der Stifter auf dem Gelände des Bürgerhospitals an der Nibelungenallee begraben, auf dem am Mittwochnachmittag mit gut 150 Gästen das nun hundertjährige Bestehen des Gebäudes gefeiert wurde.

Pforten des Todes

Das Bürgerhospital war das erste Krankenhaus der Stadt für Frankfurter Bürger. „Krankenhäuser galten als Pforten des Todes", sagt Historiker Thomas Bauer. „Dort kam niemand lebend raus - wer es sich leisten konnte, ließ sich zuhause pflegen." Mit der Grundsteinlegung für das Bürgerhospital nahe dem Eschenheimer Turm im Jahr vor seinem Tod am 9. Juli 1771 revolutionierte Senckenberg die medizinische Versorgung in der Stadt.
Auf dem Areal zwischen Bleich-, Brönner- und Stiftstraße ließ Senckenberg ab 1766 eine Anatomie, ein Gewächshaus, einen Botanischen Garten und eben das Bürgerhospital errichten. Doch durch ein Tauschgeschäft zwischen der Stadt und der Senckenbergischen Stiftung wurde Anfang des 20. Jahrhunderts sein „Tempel der Wissenschaft" zerschlagen.
Der damalige Frankfurter Oberbürgermeister Franz Adickes „setzte alles dran, aus dem Handels- und Finanzplatz Frankfurt auch eine Stadt der Wissenschaft zu machen", sagt Bauer. Eine Universität wollte er gründen - und Teile der Senckenbergischen Stiftung wie die Anatomie und die Bibliothek sollten darin aufgehen.
Aus dem Erlös des Grundstücksverkaufs am Eschenheimer Tor sollten unter anderem die Neubauten an der Nibelungenallee und an der heutigen Senckenberganlage finanziert werden. „Alle haben davon profitiert", sagt Bauer. „Die Stiftung hat einen Neubau für das Krankenhaus bekommen, der auch noch viel größer war als zuvor."
Nach zwei Jahren Bauzeit wurde das neue Hospital 1907 eröffnet. 110 Betten konnte das Krankenhaus damals aufweisen, es gab Einzelzimmer für Selbstzahler und Krankensäle für Kassenpatienten. Weiß lackierte Eisenbetten, helle Schränke und Wascheinrichtungen mit fließend heißem Wasser in den Einzelzimmern zeigten „die Fortschritte, die uns der moderne Stil gebracht hat", lobte die damalige Presse. „Alles ist mustergültig und geschmackvoll."
Auch Fortschritte der Medizin spiegeln sich in der Geschichte des Bürgerhospitals. Die Röntgentechnik hält Anfang der 20er Einzug, zur selben Zeit wird eine gynäkologische Abteilung eingerichtet. Doch bevor überhaupt vor 100 Jahren der erste Patient versorgt werden konnte, musste das Krankenhaus zunächst auf Herz und Nieren überprüft werden: Der Königliche Kreisarzt Erich Fromm kam zum Kontrollbesuch. Und Kreisarzt Fromm attestierte der Krankenanstalt „eine gesunde Lage, da es an der Grenze des Dunstkreises der Stadt Frankfurt liegt". Das würde ihm heute vermutlich nicht nochmal passieren, quält sich doch regelmäßig der Pendlerverkehr über die vierspurige Nibelungenallee.
Einige Reminiszenzen an das alte Hospital weist der neubarocke Bau im Nordend noch auf. So ist das Uhrtürmchen ein originalgetreuer Nachbau und „ziemlich bedeutungsschwer", sagt Bauer. Denn Senckenberg stürzte vom Gerüst und brach sich das Genick als er den neu erbauten Spiralturm des alten Hospitals besichtigen wollte. Deshalb konnte er an der Eröffnungsfeier vor 228 Jahren nicht mehr teilnehmen.

DIE KLINIK HEUTE

Das Bürgerhospital firmiert heute als eingetragener Verein. Es bietet 300 Betten, hat über 700 Voll- und Teilzeitkräfte. Darunter auch 25 Diakonieschwestern. Im vergangenen Jahr wurden im Krankenhaus an der Nibelungenallee 13000 Patienten stationär und 17000 ambulant behandelt.

Das Lehrkrankenhaus ist spezialisiert in vielen Fachbereichen, unter anderem in der Frühgeborenen-Medizin. Eine solche Abteilung wurde 2001 eröffnet. Seit 1997 gibt es im Bürgerhospital auch eine Klinik für Alkoholkranke, Drogen- und Medikamentenabhängige.



Führer und Gefolgschaft

Von Sandra Busch

Ärzte und Stiftung während der NS-Zeit

„Die meisten Frankfurter hielten das Bürgerhospital für nazifreundlich", meint Historiker Thomas Bauer. Schuld an dem braunen Image seien die der NSDAP beigetretenen Assistenzärzte gewesen: Sie hatten schon vor 1933 regelmäßig Angehörige der SA nach Demonstrationen im Bürgerhospital verarztet und traten nach Hitlers Machtübernahme offen als „Parteigenossen" auf.
„Unter den Mitarbeitern herrschte 1933 eine Atmosphäre des Misstrauens", meint Bauer, der das Buch „Mit offenen Armen" über die Geschichte des Bürgerhospitals geschrieben hat. Auseinandersetzungen zwischen den nationalsozialistischen Assistenzärzten und erklärten NSDAP-Gegner seien an der Tagesordnung gewesen. Die Auseinandersetzungen fanden erst ein Ende, als der Vorsitzende der Administration der Senckenbergischen Stiftung, August de Bary, einschritt.
Er erließ - obwohl nicht der Partei zugehörig - 1934 eine Dienstordnung, die das nationalsozialistische Arbeitsrecht umsetzte: De Bary oblag danach die Leitung des Bürgerhospitals als „Betriebsführer". Die in der „Gefolgschaft" zusammengefassten Mitarbeiter hatten seinen Anweisungen nachzukommen. In die Administration holte de Bary 1937 einen hochrangigen Nationalsozialisten. „Aus politischem Kalkül", glaubt Bauer. „Er hoffte, durch die Einbindung der NSDAP die Stiftung besser positionieren und vor möglichen Übergriffen schützen zu können."
Doch der berufene Träger des goldenen Parteiabzeichens, Hautarzt Carl Behrens, nahm massiv Einfluss auf die Neubesetzung der beiden Chefarztposten, wollte überzeugte Nationalsozialisten haben. De Bary und Behrens einigten sich schließlich auf einen Kompromiss: ein NSDAP-Mitglied und der parteilose Albert Lezius wurden eingestellt.
Vor Kriegsbeginn 1939 beschlagnahmte die Wehrmacht das Bürgerhospital komplett - als einziges Frankfurter Krankenhaus. So wurde aus der Stifter-Einrichtung das „Reservelazarett I".
Vier Tage vor Heiligabend im Jahr 1943 wurden bei einem schweren Luftangriff sämtliche Fenster auf der Nordseite des Schwesternhauses und des Hauptgebäudes zerstört. Bei den Großangriffen im März 1944 sank das alte Bürgerhospital an der Stiftstraße in Schutt und Asche.
1945 beschlagnahmte die US Army das Lazarett und erklärte Personal wie Patienten zu Kriegsgefangenen. 1946 nahm das Bürgerhospital seinen zivilen Dienst wieder auf.

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